Trauer ist was für Schwächlinge!

Ich war gerade sehr beeindruckt.

Ich saß bei einem online veranstalteten und sehr spannenden Meeting meines Unternehmens Alta3 mit Geschäftsführern zusammen. Und wir diskutierten über den Umgang mit Veränderung in Unternehmen. Ich referierte gerade darüber, dass Veränderung immer eine Reise durch Emotionen ist und welche Konsequenzen dies im Umgang mit Veränderungsprozessen und den Menschen hat. Und dann sagte einer der Teilnehmer etwas Wunderbares:

"Der Umgang mit Veränderung hat auch etwas mit Trauerarbeit zu tun."

Wow.

Sowas hört man nicht oft von Führungskräften in einer Zeit, wo Resistenz (ich sage bewusst nicht Resilienz!), Durchhaltevermögen, Härte gegen sich selbst und andere und die immer noch vorherrschende widerliche Kultur der eigenen Ausbeutung der geistigen, körperlichen und seelischen Substanz als Merkmal der Überlegenheit und Leistungsfähigkeit als Ideal, als Fanal der Leistungsfähigkeit hochgehalten wird. Das Gefühl der Trauer passt da so gar nicht in das Emotionsprofil, das Menschen in einem von Leistung geprägten Umfeld angeblich haben sollten. Trauer ist etwas für inkompetente, weinerliche Schwächlinge, die mit ihrem Mimimi bald aus dem Raster fallen. Nur Versager trauern!

Ein bisschen überzeichnet? Mag sein. Aber dieser eben erwähnte Geschäftsführer hat trotzdem absolut recht.

Jede Art der Veränderung bedeutet immer eine Art des Verlustes. Über Veränderung habe ich schon geschrieben (einfach diesen Artikel lesen, es lohnt sich!), sie findet immer statt. Die Bewusstwerdung dieser Veränderung bedeutet auch die Bewusstwerdung eines Verlustes – und das damit einhergehende Gefühl der Trauer unterstützt die Verarbeitung der Situation.

Natürlich können Veränderungen auch grundsätzlich als sehr positiv empfunden werden. Vor allem von außen. Sie kennen sicher diese Äußerung: "Jetzt sei doch froh, dass es endlich vorbei ist…". Aber wünschenswerte Veränderungen können auch mit Trauer einhergehen. Die Trauer über die verschwendete Zeit, man nicht früher die Veränderung zugelassen hat. Trauer darüber, dass man für eine ersehnte Veränderung vielleicht andere liebgewonnene Dinge oder Menschen dazu loslassen muss.

Trauer ist ein natürlicher, sehr individueller Prozess: Jeder trauert auf die eine oder andere sehr eigene Weise. Sie ist aber immer Zeugnis einer reichen inneren Gefühlswelt: so zu empfinden hat etwas mit Liebe, Wertschätzung, Zuneigung, Bindung, Identität und Hingabe zu tun; und sie hat gleich mehrere innere und äußere sozialpsychologische Funktionen. Sie möchte die Notwendigkeit der aktiven Bewältigung der Veränderung klarmachen. Das Gefühl der Trauer ist ein Hilferuf, ein Hinweis auf ein Bedürfnis, eine Bitte um der Unterstützung von außen und auch gleichzeitig damit eine soziale Interaktion, die die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe bestätigt und intensiviert. Gemeinsames Trauern und Mitgefühl stärken eine Gemeinschaft und Beziehungen. Ich war neulich sehr irritiert, wie ein Bekannter meine Beileidsbekundung zum Tode seines Vaters mit den Worten ablehnte, es gibt absolut nichts zu betrauern. Ich spürte eine tiefe Verletzung, die er in sich trug, aber nicht mit sich und mit mir teilen wollte. Und damit distanzierte er sich gleichzeitig von mir, auch wenn er das so vielleicht nicht empfand. Mit einer solchen Verhaltensweise umzugehen ist nicht einfach. 

Ich spüre Ihr Stirnrunzeln, werte Leserinnen und Leser: den Tod eines Menschen mit Veränderungen in einem Unternehmen gleichsetzen? Das kann man doch nicht…

Doch, kann man. Denn die Prozesse und Reaktionen auf Trauer laufen immer ähnlich ab – unabhängig davon, was diesen Zustand ausgelöst hat. Und glauben Sie nicht, dass es hier grundsätzlich qualitative Unterschiede in der Tiefe der Gefühle gibt. Ich habe in meiner Zeit nicht nur als Coach gesehen, wie verzweifelt und traurig Menschen sein können, weil Sie tiefgreifenden Veränderungen in ihrem beruflichen Umfeld gegenüberstehen und nicht mehr weiterwissen.

Im vielfältigen und so komplexen Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen in Unternehmen, seien es Mitarbeiter, Führungskräfte, aber auch Kunden, können Veränderungen also dramatisch, sogar traumatisch wirken. Ich möchte hier nur ein paar Punkte ohne Gewichtung zum allgemeinen Verständnis anführen:

  • Trauer über den Verlust von Macht, Zuständigkeiten und Aufgaben:

bei Umstrukturierungen können sich auch Rollen und Inhalte der Arbeit ändern, die man gewohnt ist und eigentlich glaubt, gut auszufüllen. Man verliert vielleicht die Position, die es einem erlaubt, eigene Ziele durchzusetzen und seine eigene Position zu stärken; oder man kann nicht mehr auf Menschen zurückgreifen, auf deren Unterstützung man bauen konnte oder denen man Anweisungen erteilen konnte, um Pläne weiterzuverfolgen.

  • Trauer über die Situation beim vorherigen Arbeitgeber:

beispielsweise aufgrund von Mobbingerfahrungen, die nicht gelöst wurden; falschen Aufgaben, die den eigentlichen Talenten nicht gerecht wurden; das Gefühl, seine Zeit verschwendet zu haben und man früher hätte gehen sollen;  der Glaube, Chancen verpasst zu haben, weil man sich Themen gewidmet hat, die der eigenen Entwicklung im Wege standen.

  • Trauer über den Weggang von Mitarbeitern:

Trennung von Kollegen und Führungskräften, mit denen man gut zusammenarbeiten konnte; damit einhergehender Verlust von wichtigen Bezugspersonen und Beziehungen

  • Trauer über eine enttäuschende Behandlung der eigenen Person durch Andere:

hier können Erfahrungen über Ablehnung, Mobbing oder eine als ungerecht empfundene Behandlung eine Rolle spielen, aber auch fehlende Anerkennung, mangelnde Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit der eigenen Person als Mensch, das Gefühl, nicht gesehen zu werden.

  • Trauer über schiefgelaufene Projekte oder Vorhaben:

die emotionale Bindung an und Identifikation mit eigenen Projekten und Vorhaben kann so stark sein, dass im Falle eines Scheiterns dieses nicht als Lernmöglichkeit, sondern als Verlust eines Teils der eigenen Identität gefühlt wird. Es löst sich die Differenzierung zwischen der Rolle, die man ausfüllt, und der Persönlichkeit, die man ist, auf. Das Scheitern kann dann mit dem Verlust des Selbstbewusstseins und Angst um Rolle, Position und Macht einhergehen.

Es ist also auch in Unternehmen ungemein wichtig einerseits zu erkennen, dass die Auseinandersetzung mit Veränderungen – egal ob sie persönlicher oder struktureller Natur sind - immer den Aspekt der Trauerarbeit in sich trägt. Und es andererseits essentiell für Unternehmen und deren Unternehmenskultur ist, dieses zu achten, egal ob man Betroffener oder Außenstehender ist. Denn letztendlich leidet nicht nur der Mensch darunter, sondern die gesamte Organisation, in der er eingebunden ist. Denn am Ende kann Trauer auch in einen Burnout führen. Loslassen ist wirklich sehr harte Arbeit. Es hilft hier zuhören, auf den Menschen eingehen und ihn spüren zu lassen, dass man ihn in seinen Gefühlen wirklich ernst nimmt und ihm liebevoll Hilfe anzubieten.

Michael Schölz

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