Kennen Sie noch das alte Wort "Besonnenheit"​?

Ich mag das Wort. Wirklich.

Es besitzt einen so schönen, weichen Klang, es ist leicht und spielerisch und weckt bei mir Assoziationen mit Sonne, Wärme, Ruhe… und es ist eins der Wörter, die heutzutage viel zu wenig verwendet werden. Es ist ein wenig altmodisch, ja, aber das gilt für so vieles Schönes.

Wie meine Schreibtischlampe aus den 20er Jahren, die mich jeden Tag an meine Großeltern erinnert, die so viel Leid und Entsetzliches gerade in ihren jungen Jahren erlebt haben. Und gerade deswegen Besonnenheit als einer ihrer wichtigsten Werte erachteten.

Dennoch ist dieses schöne, sanfte Wort aktueller denn je. Es verlangt geradezu danach, heute viel häufiger verwendet, angesprochen und umgesetzt zu werden. Es drängt sich nach vorne wie ein Sanitäter durch die gaffende Menschenmenge, der weiß, dass er gebraucht wird.

"Besonnenheit" ist eng verwandt mit dem Wort "Gelassenheit". Auch so ein schönes Wort: wenn ich laut "lassen" sage, habe ich das Gefühl, etwas fällt von mir verbal ab, ich gewinne Abstand zu etwas.

"Gelassenheit" und "Besonnenheit" sind untrennbar miteinander verbunden und beschreiben eine wunderbare Haltung der Beherrschung seiner Selbst und Unerschütterlichkeit im Gleichgewicht der Gefühle. Wenn die Gelassenheit, die innere Ruhe, dafür sorgt, auch in emotional belastenden Situationen Gleichmut und innere Stabilität zu wahren und Fassung zu wahren, darf die Besonnenheit aktiv werden: sie hat das verstandesmäßige und rationale Handeln im Fokus, also die Fähigkeit, unüberlegte Taten und impulsives, schädliches und verletzendes Handeln zu verhindern. Besonnenheit soll uns mit Weitblick und Bedacht davor bewahren, etwas zu tun, was andere oder sich selber schlecht fühlen lässt, etwas kaputtzumachen, was vielleicht nicht mehr repariert werden kann. Zum Beispiel zwischenmenschliche Beziehungen.

Warum ich darauf komme? Beides vermisse ich gerade sehr, beim meinen Mitmenschen, in den Medien aber auch auf Plattformen wie LinkedIn – über Instagram, Facebook und Konsorten möge man geduldig und mit Güte hinwegsehen, man verzeihe mir: das Feld zu beackern würde meine Gelassenheit dahinschwinden lassen…. 

Gelassenheit und Besonnenheit sind rar geworden. Vielleicht hat Martin Heidegger recht, der in seinem Werk "Gelassenheit" nachdenklich konstatiert, dass der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts "der unaufhaltsamen Übermacht der Technik wehrlos und ratlos ausgeliefert" ist und mit dieser Überforderung beides, Gelassenheit und Besonnenheit, zu verlieren droht. 

Eine besondere Blüte: wenn in Artikeln und Posts schon prophylaktisch gebeten wird, in den Kommentaren nett zueinander zu sein. Also ist das wirklich schon so nötig? Vielleicht… Denn wenn ich die Kommentarspalten lese – manchmal steht auch in ihnen viel Kluges und Lernenswertes – beschleicht mich sachte die Ahnung, dass Menschen manchmal nur kommentieren, um massive innere Spannung abzubauen, negative Gefühle abzulassen, die ja nicht selten nichts mit dem Post selber zu tun haben. Sie verwenden diese Spiegel, um dann alle Ventile zu öffnen und all ihren Unmut und ihre Verletzungen auf den Post und nicht selten auch direkt auf den Ersteller zu projizieren. 

Das Problem liegt also im Menschen, seiner Macht- und Schrankenlosigkeit, so dass Dinge an sein Herz und das Persönlichste herankommen, die ihn orientierungslos in einer Welt lassen, die ihn immer mehr überfordert. Die einfachsten Grundregeln des menschlichen Miteinanders scheinen dann auch in eher professionelleren Bereichen immer weniger beachtet und wert zu sein und innere Schranken fallen in der Folge. Selbstregulierung und Selbststeuerung – nicht ganz einfache Prozesse – sie kosten zu viel Energie und werden noch schwerer durchgehalten. 

Eine Lösung ist nicht einfach zu finden und diese muss nachhaltig und mit Konsequenz verfolgt werden. Der Anfang wäre damit gemacht: der Mensch muss schon früh in seiner Entwicklung Abstand finden lernen, loslassen üben, sich selbst und seine Gefühle intensiv kennenlernen, um sich dann in Gelassenheit zu schulen und Besonnenheit walten zu lassen. Das ist etwas, über das man nachdenken und das man schon früh fördern, vermitteln, lehren und (vor-)leben kann. Tiere haben es da etwas einfacher - sie müssen nicht erst einmal darüber nachdenken, besonnen zu handeln. Sie tun es einfach. Wir Menschen müssen erst einmal viel Energie aufbringen. Aber es lohnt sich, um in Zukunft ein etwas entspannteres Miteinander in Gelassenheit und Besonnenheit zu haben. Diese Werte lassen uns als Mensch weiterentwickeln.

Aber vielleicht reicht es auch, sich den einfachen Rat von Terry Pratchetts Hauptmann Karotte an Kommandeur Mumm ab und an zu Herzen zu nehmen, den das überaus rationale und überlegte Handeln seines Hauptmanns auch in menschlich schwierigen Situationen verwirrte: "Nicht alles, was persönlich ist, ist auch wichtig, Kommandeur."

Michael Schölz

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