Über Glaubenssätze – über die Fülle des Lebens

Es war ein warmer und sonniger Tag, aber der kühle Hauch des sterbenden Winters lag noch im sanften Wind, der über den Starnberger See wehte. Ich saß mit meinem fast erwachsenen Sohn nach einem wunderbaren Vormittag voller Stand-Up-Paddling, Sonnenbaden und Spazierengehen auf den Bierbänken eines kleinen Kiosks direkt am Wasser.

Wir aßen furchtbar ungesunde Currywurst mit Pommes. Ein Traum in Fett und Salz – wir genossen es mit Inbrunst und blickten dabei auf den See. Ab und zu streiften uns Spaziergänger, die mein Sohn genau beobachtete. Ein Paar, das ihm besonders auffiel, trug recht offen die bohémische Leichtigkeit, Mode und etwas überhebliche Distanz neuen Geldes spazieren, ein bewusst zur Schau getragener Auftritt, dessen Wirkung man so schön mit seinen eigenen Vorurteilen kombinieren – sprich lästern – kann. Man verzeihe mir hier diesen faux pas. Ich weiß, ich weiß, es gehört sich nicht… aber manchmal bade auch ich in den Niederungen der menschlichen Oberflächlichkeit.

»Da steckt bestimmt viel Kohle dahinter« meinte mein Sohn in aller analytischen Nüchternheit, «Zumindest sehen sie so aus, als ob sie stolz darauf sind und es gerne zeigen.«

Ich musste zugeben, dass ich sofort das gleiche gedacht habe, als ich das Pärchen gesehen habe. Aber ich ergänzte: «Wir sind aber deutlich reicher als die beiden.« und schnibbelte weiter an meiner Currywurst, die sich wacker gegen das etwas stumpfe Messer schlug.

David guckt etwas irritiert, weil er nicht gleich verstand, was ich meinte. »Wir sind doch nicht reich. Oder ist mir das etwas entgangen? Ich bräuchte einen neuen Computer…«

Ich lächelte über seinen für ihn typisch schnellen Transfer einer Erkenntnis in die Praxis.

«David, was die beiden haben, ist ihr Geld. Vielleicht ein oder mehrere Luxusautos, eine eigene Firma, ein Haus oder eine Wohnung am Starnberger See. Das haben sie und zeigen es gerne nach außen. Aber das ist alles, was sie glauben zu haben.

Wir haben aber jetzt einen ganzen See, auf dem wir paddeln und baden dürfen, nur für uns. Auch wenn er zugegebenermaßen noch etwas kalt ist. Wir haben die Berge, die Sonne, den wolkigen Himmel, die Natur um uns herum, in der wir wandern gehen dürfen, soweit uns die Füße tragen. Das gehört uns, in dem Moment wo wir es nutzen und genießen. Und wir nehmen uns die Zeit, all das genießen zu dürfen. Und wir haben uns, wir haben unsere Familie. Das ist echter Reichtum. Eigentlich sind wir Multimilliardäre.«

Mein Sohn nickte. »Aber das haben die beiden doch auch?«

»Richtig. Aber sie wissen und spüren das nicht. Sie sehen womöglich nur, was sie besitzen, die kleine materielle Welt, die sie sich mit Geld gekauft haben und nach außen tragen. Sie wissen nicht, dass sie so viel mehr jetzt haben können. Für sie ist die Welt nur Kulisse, um Geld zu zeigen. Sie können sich nur vorstellen, etwas zu haben, was man kaufen kann. Und jemand zu sein zu können, wenn man Geld hat.«

Mein Sohn kaute gedankenverloren auf einem Pommes herum.

»Ist klar, Papa, Reichtum ist nur eine Frage der Perspektive. Und wenn wir das alles um uns herum, was wir nutzen können, als Geschenk betrachten, sind wir echt reich! Man hat viel und besitzt eigentlich nichts, am Ende hat man alles nur ausgeliehen im Leben, egal ob geschenkt oder gekauft, oder?«

»Korrekt.«

»Dann stört's Dich ja sicher nicht, wenn Du mir Geld gibst, dass Dir eigentlich nicht gehört, damit ich ein Eis haben kann, das dem Kioskbesitzer eigentlich nicht gehört.«

Lachend drückte ich ihm ein paar Münzen in die Hand.

»Bring mir auch eins mit!«

Karl Michael Schölz

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